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Recht auf Mindestlohn im Kanton Tessin

Die Garantie eines Mindestlohns ist seit 2021 in Kraft und soll ein Einkommen gewährleisten, das ein «würdiges Leben» sichert (Art. 13 Abs. 3 KV-TI). Er kommt dort zur Anwendung, wo kein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) bereits einen Mindestlohn vorsieht, wobei dessen Höhe entsprechend der ausgeübten Tätigkeit und dem betroffenen Wirtschaftsbereich angepasst wird. Ab 2025 liegt er in einer Bandbreite zwischen 20 und 20.50 Franken pro Stunde.
Diese Regelung orientiert sich an den Grundsätzen der international garantierten sozialen Menschenrechte, insbesondere am UNO-Pakt I über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, den die Schweiz ratifiziert hat. Darin wird das Recht auf eine Entlohnung anerkannt, die einen angemessenen Lebensunterhalt sichert. Der Kanton Tessin konkretisiert dieses Rechts auf kantonaler Ebene und trägt so zur Stärkung des Schutzes berufstätiger Personen bei.
Geschichte
Im Jahr 2015 nahm die Stimmbevölkerung die Volksinitiative «Rettet die Arbeit im Tessin» an und verankerte damit das Recht auf Mindestlohn in der kantonalen Verfassung. Zwei Jahre später anerkannte das Bundesgericht, dass die Kantone die Kompetenz haben, Mindestlöhne einzuführen. Es betonte, dass dieses sozialpolitische Instrument in erster Linie das Ziel verfolgt, Erwerbsarmut zu bekämpfen und die menschliche Würde zu achten (BGE 143 I 403, E. 7.5.3).
Zum Zeitpunkt der Volksinitiative waren im Kanton Tessin ein Viertel der Arbeitsplätze Tieflohnstellen (zum Vergleich: landesweit lag der Anteil bei 10 %).
Auswirkungen im Alltag
Giangiorgio Gargantini, Regionalsekretär der UNIA, betont: «Der Mindestlohn hat dazu beigetragen, eine Art <würdebezogene Lohnuntergrenze> zu etablieren, die sehr wichtig ist, auch wenn das Niveau von 20 Franken immer noch zu tief ist, um tatsächlich und spürbar positive Effekte auf den Tessiner Arbeitsmarkt zu erzielen.»
Laut dem Bericht des Instituts für Wirtschaftsforschung (IRE) der Università della Svizzera italiana hat die Einführung des Mindestlohns zu einem deutlichen Anstieg der Löhne im Tieflohnsektor geführt. Auch Gargantini weist darauf hin, dass Arbeitsplätze in bestimmten Berufszweigen, die durch die neuen Mindestlöhne an Attraktivität gewonnen haben, zunehmend wieder von ortsansässigen Arbeitskräften besetzt werden. Zudem ist ein leichter Lohnanstieg auch in Berufsgruppen zu beobachten, deren Einkommen bereits über dem Mindestlohn liegt.
Nationale und Transkantonale Wirkung
Neben dem Tessin haben auch die Kantone Neuenburg, Jura, Genf und Basel-Stadt Mindestlöhne eingeführt, mit Beträgen zwischen 20 und über 24 Franken pro Stunde. Trotz mehrerer Beschwerden wurde der Mindestlohn im Tessin vom Bundesgericht bestätigt – auch in Fällen, in denen Unternehmen kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes GAVs mit tiefen Löhnen abgeschlossen hatten. Das Gericht hielt fest, dass der Mindestlohn die Wirtschaftsfreiheit nicht unverhältnismässig einschränke (2C_302/2020, E. 8.7).