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Sport, Geschlecht und Menschenrechte: Die Schweiz muss faire Verfahren gewährleisten

Der Fall Caster Semenya gegen die Schweiz in Kürze
Am Ursprung des Verfahrens steht eine Auseinandersetzung zwischen Caster Semenya, einer südafrikanischen Mittelstreckenläuferin, und dem Leichtathletik Weltverband World Athletics. Die Auseinandersetzung wurde ausgetragen vor dem Internationalen Sportschiedsgerichtshof (CAS), einem Schiedsgericht mit Sitz in Lausanne – das ist der Bezug zur Schweiz. Caster Semenya wehrte sich vor diesem Gericht gegen Regeln, die Athlet*innen mit einem von Natur aus hohen Testosteron-Wert dazu verpflichten, diesen mit Medikamenten zu senken. Diese Regeln heissen «Eligibility Regulations for the Female Classification (Athletes with Differences of Sex Development)», oder kurz DSD-Regelungen. Da sich Semenya weigerte, sich einer solchen Behandlung zu unterziehen, wurde ihr ab 2019 verwehrt, an internationalen Wettkämpfen teilzunehmen. Die Beschwerde der Athletin wurde vom Internationalen Sportsschiedsgericht abgewiesen. Von diesem können Verfahren an das Schweizerische Bundesgericht weitergezogen werden, wo Semenya allerdings ebenfalls unterlag.
Schliesslich legte Semenya Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein. Dieser befand 2023, dass die Schweiz gegenüber Semenya mehrere Menschenrechte verletzt habe. Insbesondere stellte er eine Verletzung des Diskriminierungsverbots im Bezug auf das Geschlecht und eine Verletzung des Rechts auf eine wirksame Beschwerde fest. Die Schweiz hat den Fall dann vor die Grosse Kammer des Gerichts gebracht. In ihrem endgültigen Urteil erkannte sie die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren durch die Schweiz an.
Wer ist Caster Semenya?
Wer ist Caster Semenya?
Mokgadi Caster Semenya ist eine südafrikanische Mittelstreckenläuferin. Sie ist mehrfache Weltmeisterin (2009, 2011, 2017) und Olympiasiegerin (2012, 2016). Semenya wurde mit einer Variation der Geschlechtsmerkmale geboren (auch Difference in Sex Development/DSD oder Intergeschlechtlichkeit genannt), was zu einem natürlich erhöhten Testosteronspiegel im Vergleich zu Athlet*innen ohne diese Variation führt.
Warum ging Caster Semenya vor Gericht?
Um an internationalen Wettkämpfen teilnehmen zu können, verpflichtet World Athletics Athlet*innen mit intergeschlechtlichen Variationen zu einer Hormonbehandlung, die ihren Testosteronwert senken soll. Diese Regeln hat der Verband niedergelegt im sog. DSD-Reglement («Eligibility Regulations for the Female Calssification (Athletes with Difference of Sex Development)”).
Caster Semenya entschied sich 2018, rechtlich gegen diese Regeln vorzugehen. Mit ihrer Beschwerde machte Semenya geltend, aufgrund dieser Regelung Diskriminierung erfahren zu haben.
Ist Caster Semenya eine transgeschlechtliche Person?
Nein. Semenya wurde mit weiblichen Geschlechtsorganen geboren, als Mädchen sozialisiert und identifiziert sich als Frau. Ihre Situation unterscheidet sich damit grundlegend von der von transgeschlechtlichen Personen. Transgeschlechtliche Personen identifizieren sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht. Semenya hingegen hat sich stets mit dem ihr bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht identifiziert, das heisst, als Frau. Die Pronomen, die hier verwendet werden, um auf sie Bezug zu nehmen, sind daher stets weibliche Pronomen.
In einem Guardian Artikel von 2023 antwortete Semenya auf die Frage, wie sie sich selbst bezeichnen würde: «Ich bin Afrikanerin, ich bin eine Frau, ich bin eine andere Frau». In seinem Entscheid von 2023 betonte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stets die grundlegenden Unterschiede zwischen ihrer Situation und der von transgeschlechtlichen Athlet*innen (N. 196ff.).
Ist Caster Semenya intergeschlechtlich?
Der Fall Caster Semenya gegen die Schweiz ist Teil einer breiteren Debatte zum Thema inter- und transgeschlechtlichen Athlet*innen im Wettkampfsport. Intergeschlechtlichkeit und Transgender (siehe oben) bedeuten nicht dasselbe. Intergeschlechtliche Menschen oder Menschen mit einer angeborenen Variation der Geschlechtsmerkmale werden mit Geschlechtsmerkmalen geboren, die sich von den gesellschaftlichen und von der Medizin definierten Vorstellungen von weiblich oder männlich unterscheiden. Intergeschlechtlichkeit ist somit ein Oberbegriff für Personen, die intergeschlechtliche Merkmale aufweisen: Sie werden also als weder weiblich noch männlich, nicht ganz weiblich oder männlich oder gleichzeitig weiblich und männlich gelesen. Die Intergeschlechtlichkeit ist zu unterscheiden von der Geschlechtsidentität, also von der Frage, mit welchem Geschlecht sich eine Person identifiziert.
Caster Semenya hat eine angeborene Variation der Geschlechtsmerkmale und somit einen Testosteronspiegel, der höher liegt als bei der Mehrheit der Frauen. Der Verband World Athletics erachtet ihren Testosteronspiegel für so hoch, dass keine fairen Wettkampfbedingungen mit weiblichen Athlet*innen mehr gewährleistet sind.
Verschiedene Menschenrechtsorgane kritisierten die DSD-Regelung, auf deren Grundlage Semenya von Wettkämpfen ausgeschlossen wurde. Ein Bericht des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) hielt etwa fest: «Die Umsetzung der Vorschriften für die Teilnahmeberechtigung von Frauen verweigert Athleten mit unterschiedlichen Geschlechtsmerkmalen das gleiche Recht auf Teilnahme am Sport und verstösst allgemein gegen das Recht auf Nichtdiskriminierung».
Caster Semenyas juristische Schritte
Zusammenverfassung des Prozessverlaufs
Trotz schwerwiegender Bedenken gibt das internationale Sportschiedsgericht (CAS) im Jahr 2019 dem Verband World Athletics recht: die künstliche Senkung des Testosteronwertes sei notwendig, um faire Wettkampfbedingungen im Frauensport zu garantieren.
Im gleichen Jahr setzt das Bundesgericht die Verpflichtung zur Hormonbehandlung vorläufig aus, bis es in der Sache selber entscheiden kann.
Im Jahr 2020 gibt das Bundesgericht dem CAS recht. Dessen Entscheid sei kein Verstoss gegen den «ordre public» der Schweiz. Zu den menschenrechtlichen Aspekten des Falles äussert es sich nicht direkt.
2023 entscheidet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass Caster Semenyas Rechte, wie sie in der Konvention garantiert sind, verletzt worden seien. Konkret ging es um eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes (Art. 14 EMRK) in Kombination mit dem Recht auf Privatleben (Art. 8 EMRK) und dem Recht auf eine wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK).
Im Jahr 2025 hat die Grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch die Schweiz verurteilt, jedoch wegen Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK).
Wie entschied das Sportschiedsgericht im Fall Semenya?
Caster Semenya trug den Konflikt mit ihrem Verband vor ein Gericht, das seinen Sitz in der Schweiz hat – das Sportschiedsgericht (CAS) in Lausanne. Dieses befand 2019, dass das DSD-Reglement auf den ersten Blick zwar eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und «unveränderlicher biologischer Merkmale» darstellt. Dennoch sei eine Regel, die Frauen mit intergeschlechtlichen Merkmalen zur künstlichen Senkung ihrer Testosteronwerte verpflichte notwendig, angemessen und verhältnismässig, um Fairness bei professionellen Frauenwettkämpfen zu gewährleisten.
Gleichzeitig äusserte das Schiedsgericht ernsthafte Bedenken. Es verwies auf die erheblichen Nebenwirkungen der Hormonbehandlung, die potenzielle Unfähigkeit einer intergeschlechtlichen Sportlerin, die Regelungen trotz guter Absichten einzuhalten und die Tatsache, dass die verfügbaren wissenschaftlichen Beweise, die die DSD-Regelungen stützen, dürftig sind. Tatsächlich ist wissenschaftlich umstritten, wie gross der sportliche Vorteil hoher Testosteronwerte ist. Im Entscheid des Schiedsgerichts spielten Überlegungen zu den Garantien aus der EMRK keine Rolle.
Was hat der Fall von Caster Semenya mit der Schweiz zu tun?
Der Internationale Sportschiedsgerichthof (Court of Arbitration for Sport, CAS) hat seinen Sitz in Lausanne. Dies, weil auch das Olympische Komitee seinen Sitz in Lausanne hat, das eine wichtige Rolle spielte in der Schaffung des Schiedsgerichtes im Jahr 1984.
Dass die Schweiz Sitzstaat vieler internationaler Organisationen und Verbände ist, bringt notwendigerweise besondere juristische Fragen mit sich – darunter auch solche, die die Menschenrechte betreffen und die sich in anderen Staaten nicht mit derselben Häufigkeit stellen.
Das CAS ist nicht ein öffentlichrechtliches Gericht, sondern eine privatrechtliche Organisation. Es ist eine unabhängige Einrichtung, die im Sinne einer Schiedsgerichtsbarkeit Dienstleistungen zur Erleichterung der Beilegung von sportbezogenen Streitigkeiten anbietet, sowie Mediation. Damit eine Streitigkeit vor dem CAS geschlichtet werden kann, müssen die Parteien dies schriftlich vereinbaren. Es ist üblich, dass Athlet*innen sich verpflichten müssen, allfällige Streitigkeiten in Zusammenhang mit Wettkämpfen ausschliesslich vor dem CAS auszutragen, damit sie an internationalen Wettkämpfen teilnehmen können. Auch Caster Semenya musste sich dazu verpflichten. Der Weg an die Gerichte ihres Heimatstaates oder andere öffentliche Gerichte stand ihr daher nicht offen.
Wie gelangte der Fall an das Bundesgericht?
Das CAS untersteht einer sehr eingeschränkten juristischen Überprüfung durch das Schweizerische Bundesgericht. Basierend auf den Art. 190 und 191 des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht (IPRG) können die Entscheide des Schiedsgerichtes angefochten werden, allerdings nur aus sehr eingeschränkten Gründen. Im vorliegenden Fall war lediglich die Frage strittig, ob der Entscheid des CAS gegen den ordre public der Schweiz verstosse.
Der ordre public ist im internationalen Privatrecht eine Art Notbremse, mit der die Anwendung ausländischer Normen oder Entscheide verhindert werden soll, die mit der schweizerischen Rechts- und Wertordnung nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis schlechterdings unvereinbar sind.
Nach dem Urteil des Bundesgerichts hat sich Semenya entschieden, gegen die Schweiz am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde zu führen. Dies war möglich, weil sie die Rechtsmittel, die ihr in der Schweiz zur Verfügung standen, bereits ausgeschöpft hatte. Das Anfechtungsobjekt vor dem EGMR war der Bundesgerichtsentscheid.
Was sagte das Bundesgericht zu Caster Semenyas Menschenrechten?
Auf Grund seiner sehr eingeschränkten Überprüfungsbefugnis des Entscheides des Schiedsgerichts war die einzige Frage, die vor Bundesgericht verhandelt werden konnte, ob die Entscheidung des CAS gegen den «ordre public» verstossen habe. Mit der Frage, ob Caster Semenyas Menschenrechte verletzt worden seien, hat sich das Bundesgericht nicht direkt befasst.
Ein Fall, der auch Menschenrechte betrifft
Um welche Menschenrechte geht es im Fall von Caster Semenya?
Eine Besonderheit des Falles Caster Semenya ist, dass bei den beiden Entscheidungen des EGMR - des Entscheides der Kammer 2023 und des Entscheides der Grossen Kammer – ganz unterschiedliche Garantien der EMRK im Vordergrund standen. Vor der Grossen Kammer 2025 stand das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) im Vordergrund.
Vor der Kammer des EGMR standen 2023 hingegen drei Garantien der EMRK im Vordergrund:
- das Diskriminierungsverbot (Artikel 14 EMRK),
- das Recht auf Achtung des Privatlebens (Artikel 8 EMRK),
- das Recht auf wirksame Beschwerde (Artikel 13 EMRK).
Die Grosse Kammer trat auf diese Vorbringen nicht mehr ein. Es fand vor der Grossen Kammer also eine starke Verschiebung von Fragen der Diskriminierung zu Fragen des fairen Verfahrens statt. Die Grosse Kammer betonte dabei das starke Machtungleichgewicht zwischen der individuellen Athletin und dem Weltverband vor dem Sportschiedsgericht und bestand darauf, dass das Bundesgericht angesichts dieses Ungleichgewichts seine eigene Überprüfungsbefugnis zu eng auslegte.
Was sagte der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 2023?
In seinem Entscheid vom 11 Juli 2023, entschieden die Richter*innen der dritten Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) mit 4:3 Stimmen, dass eine Verletzung des Diskriminierungsverbots (Art. 14 EMRK) in Verbindung mit dem Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) und dem Recht auf wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK) vorliegt. Das Gericht stellte insbesondere fest, «dass die Beschwerdeführerin in der Schweiz keine ausreichenden institutionellen und verfahrensrechtlichen Garantien erhalten hat, die ihr eine wirksame Prüfung ihrer Beschwerden ermöglicht hätten» (N. 201).
Nach Auffassung des EGMR hat das Bundesgericht mit seiner sehr eingeschränkten Prüfung nicht angemessen auf die vom CAS geäusserten wichtigen Bedenken reagiert, was gegen das Diskriminierungsverbot gemäss Artikel 14 der CEDH verstösst.
In Fällen, in denen es um die Diskriminierung auf Grund des Geschlechtes geht, haben die Staaten nur einen geringen eigenen Ermessensspielraum (sog. margin of appreciation), hielt der Gerichtshof fest. Im Fall einer Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts und angeborenen Variationen in den Geschlechtsmerkmalen seien «sehr gewichtige» Gründe erforderlich, um die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Der Ermessensspielraum sei ausserdem umso enger gefasst, da für die Beschwerdeführerin die Ausübung ihres Berufes auf dem Spiel stand.
Was hat der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 2025 entschieden?
Am 10. Juli 2025 hat auch die Grosse Kammer des EGMR die Schweiz verurteilt, allerdings aus anderen Gründen, als die Kammer des EGMR 2023. Die Grosse Kammer entschied auf eine Verletzung des Rechts auf ein Faires Verfahren (Art. 6 EMRK). Auf Caster Semenyas Beschwerde, Sie sei von der Schweiz auf Grund ihrer Geschlechtsmerkmale diskriminiert worden, trat die Grosse Kammer nicht ein.
Es fand vor der Grossen Kammer also eine starke Verschiebung von Fragen der Diskriminierung zu Fragen des fairen Verfahrens statt. Die Grosse Kammer betonte dabei das starke Machtungleichgewicht zwischen der individuellen Athletin und dem Weltverband vor dem Sportschiedsgericht und bestand darauf, dass das Bundesgericht angesichts dieses Ungleichgewichts seine eigene Überprüfungsbefugnis zu eng auslegte.
Im Ergebnis bedeutet das, dass das Bundesgericht die Menschenrechte künftig stärker in seine Auffassung des "ordre public" mit einbeziehen muss.
Warum entscheidet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2025 noch einmal?
Im Fall Caster Semenya reichte die Schweiz nach dem Urteil der Kammer im Juli 2023 ein Gesuch ein, den Fall an die Grosse Kammer des Gerichts zu überweisen. Der EGMR verfügt über eine sogenannte Grosse Kammer, die in ausserordentlichen Fällen einen Entscheid einer Kammer überprüft oder an deren Stelle entscheidet. Die Grosse Kammer entscheidet, wenn sich grundlegende Fragen zur Interpretation der Konvention stellen oder wenn die Einheitlichkeit der Rechtsprechung unter den verschiedenen Kammern sichergestellt werden muss. Der Ausschuss der Grossen Kammer nahm am 6. November 2023 den Antrag auf Verweisung an die Grosse Kammer an.
Nach dem Urteil der Grossen Kammer am 10. Juli 2025 besteht keine Möglichkeit, weitere Rechtsmittel gegen den Entscheid einzulegen. Die Urteile des EGMR sind bindend und müssen umgesetzt werden. Überwacht wird die Umsetzung der Entscheide des Gerichtshofs durch das Ministerkomitee des Europarates.
Was ist der allgemeine Einfluss, den der Fall Caster Semenya hat?
Der Fall Caster Semenya ist aus mindestens zwei Gründen bedeutend:
Einerseits trägt das Urteil des EGMR zu einer Klärung des Verhältnisses zwischen autonomen Sportverbänden wie World Athletics, privaten Schiedsgerichten wie dem CAS und der EMRK bei. Es geht um die Frage, wie die Menschenrechte geschützt werden gegenüber privaten Organisationen, die ganze Lebensbereiche prägen – etwa den Leistungssport, wodurch sie einen enormen Einfluss haben über das Leben von Athlet*innen
Ausserdem spielt der Fall eine zentrale Rolle in der Debatte um die Integration intergeschlechtlicher Athlet*innen in binären Sportwettkämpfen. Er legt menschenrechtliche Fragen offen, die sich im Sport in Zusammenhang mit Gender sowie den damit verbundenen Diskriminierungen stellen. Der Umgang mit diesen Fragen im Sportbereich beeinflusst – im positiven wie im negativen Sinne – auch die Wahrnehmungen von Geschlechterrollen in der gesamten Gesellschaft.
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Ist der Fall Caster Semenya ein Beispiel für Mehrfachdiskriminierung im Leistungssport?
Der Fall Caster Semenya ist ein Beispiel für mehrdimensionale Diskriminierung im Leistungssport. Dies bedeutet, dass mehrere Dimensionen der Identität von Caster Semenya, nicht nur das Geschlecht im Sinne einer angeborenen Variation der Geschlechtsmerkmale, sondern auch ihre Herkunft den Charakter der Diskriminierung bestimmen. Sportorganisationen und Schiedsgerichte verteidigen die Begrenzung des natürlichen Testosteronspiegels mit dem Argument, faire Wettkämpfe zu ermöglichen. Es hat sich jedoch gezeigt, dass Frauen* aus dem Globalen Süden besonders stark betroffen sind von diesen Regulierungsmechanismen.1
Solche verschränkten Formen von Diskriminierungen müssen sichtbar gemacht und von Gerichten anerkannt werden, um einen gleichen Zugang zu Sport für alle Frauen*, unabhängig von ihrer Herkunft, ethnischen Zugehörigkeit oder Hautfarbe, zu gewährleisten. Denn nicht nur im Leistungs- sondern auch im Breitensport, wird der Zugang zu Sport zusätzlich eingeschränkt, wenn noch andere Diskriminierungsformen wie Rassismus hinzukommen. Dies wurde vom UN High Commissioner for Human Rights in seinem “report on the intersection of race and gender discrimination in sport” so festgehalten. Staaten sind dazu aufgefordert, den Zugang zum Recht für mehrfach diskriminierte Personen zu gewährleisten und ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen im internationalen Wettkampfsport, wie auch im Breitensport, wahrzunehmen.
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Siehe insbesondere Seite 8 des Amnesty International Reports, der sich auf folgenden Artikel bezieht: Karkazis, Katrina and Rebecca M. Jordan-Young. "The Powers of Testosterone: Obscuring Race and Regional Bias in the Regulation of Women Athletes." Feminist Formations, vol. 30 no. 2, 2018, p. 1-39. Project MUSE, https://dx.doi.org/10.1353/ff.2018.0017. Siehe zudem die Third Party Intervention by the Human Rights Centre of Ghent University.